Toter Baum – lebendiger Fluss
Einen großen Baum einfach in der Lippe liegen lassen – geht denn das? Weil ich mir die Frage nicht beantworten konnte, habe ich eine Fachkollegin gefragt, die es wissen muss.
Die Situation: Anfang Januar war westlich von Datteln-Ahsen eine große Pappel in die Lippe gestürzt und hatte sich quer über den gesamten Fluss gelegt. Dadurch war die Lippe an dieser Stelle wochenlang für Kanus gesperrt.
Inzwischen hat sich durch das letzte Hochwasser der Stamm aus seiner Position bewegt – weg vom linken Ufer, so dass dort eine Gasse für die Durchfahrt entstanden ist (Bild oben). Ob dies auch bei Niedrigwasser ausreicht, muss noch geklärt werden, sobald die Lippe wieder gefallen ist. Den tonnenschweren Baum zu beseitigen, wäre in dem unwegsamen Gelände nicht nur sehr schwierig, der Lippeveband ist auch zu dem Ergebnis gekommen, dass er in diesem Fall im Fluss bleiben sollte.
Warum ist denn totes Holz im Wasser überhaupt sinnvoll?
Dazu Sylvia Junghardt, Ingenieurin und Landschaftsplanerin, bei der Abteilung Gewässerunterhaltung und Landschaftspflege des Lippeverbandes:
„Wir sprechen hier in der Tat von Totholz im Gewässer. Für die Artenvielfalt hat das gleich mehrere Vorteile. So entstehen unterschiedliche Strömungsverhältnisse, die wiederum zum Beispiel für kleinere Auflandungen oder Auskolkungen in der Sohle sorgen können. Es gibt zwischen den Ästen jede Menge Fischverstecke und Raum für Jungfischschwärme. Außerdem ist der Baum ein Lebensbereich für das so genannte Makrozoobentos, also die Kleinlebewesen im Gewässer wie Flohkrebse, die Köcher- und Steinfliegen- und Eintagsfliegenlarven sowie für Schnecken, und aquatische Käfer. Von dem Holz selbst leben vor allem hoch spezialisierte Arten, andere von den sich auf dem Holz bildenden Pilz- und Algenfilmen, die sie abweiden. Außerdem profitieren auch zum Beispiel die Zerkleinerer wie die Flohkrebse von den zwischen den Zweigen zurück gehaltenen Blättern und anderem Pflanzenmaterial. Im Ergebnis wächst die Strukturvielfalt erheblich“.
Und wie geht das weiter? Was passiert mit so einem Baum, wenn er jahrelang im Wasser liegt? Auch diese Frage habe ich mir gestellt.
„Mit der Zeit wird der Baum immer kleiner“, so Sylvia Junghardt, „ ich schätze, nach fünf bis sieben Jahren ist im Wesentlichen nur noch der Stamm übrig, eine solche Veränderung ist ja auch Teil der natürlichen Entwicklung“.
Lässt man denn dann am besten jeden Baum liegen, der in die Lippe gestürzt ist?
Sylvia Junghardt: „Nicht jeden Baum, aber dieser liegt an einer idealen Stelle und er wird von einem großen Wurzelballen an Ort und Stelle gehalten. Es ist schon etwas Besonderes, dass von so einem großen Baum keine, jedenfalls keine unmittelbare Gefahr ausgeht, es gibt unterhalb kein Wehr oder enge Brücken. Diese Situation haben wir nicht überall, dann muss im Zweifelsfall ein Baum aus dem Wasser geholt werden. Dass die Kanuten durchfahren können, werden wir immer sicherstellen. Sollte sich die Situation ergeben, dass der Baum sich löst, wird man noch einmal nachdenken müssen.“
Gibt es noch weitere Stellen, wo Totholz in der Lippe liegt?
„Ja, an der einen oder anderen Stelle an der Lippe schon. Auch haben wir bei manchen Uferentfesselungen zum Beispiel junge Weiden in die Lippe eingebracht, aber die sind dann längst nicht so groß. Auch bei der ökologischen Verbesserung von Nebenläufen arbeiten wir immer wieder mit Totholz.“