Was ist die „4. Reinigungsstufe“?

Was ist die „4. Reinigungsstufe“?

Debatte um Spurenstoffe um Wasser.

Abgelaufene Tabletten haben nichts im Abwasser zu suchen - sie gehören in den normalen Hausmüll!

Abgelaufene Tabletten haben nichts im Abwasser zu suchen – sie gehören in den normalen Hausmüll!

Die Debatte um das Thema „Medikamentenreste im Wasser“ sowie der Start unseres Forschungsprojektes „Essen macht’s klar“ haben eine Diskussion rund um den Sinn und Unsinn einer sogenannten „4. Reinigungsstufe“ auf Kläranlagen ausgelöst. In diesem Zusammenhang erreichten uns zuletzt immer häufiger Nachfragen, was sich hinter diesem Begriff eigentlich konkret verbirgt. Zugegeben, wir Wasserwirtschaftler hauen die Bezeichnung immer noch viel zu selbstverständlich heraus – aus diesem Grund wollen wir heute mal leicht verständlich erklären, was mit der „4. Reinigungsstufe“ gemeint ist und wieso sie nicht die Lösung der Spurenstoffe-Problematik ist:

Was ist die vierte Reinigungsstufe?
In der Debatte um die 4. Reinigungsstufe geht es meist um das Herausfiltern von Spurenstoffen, d.h. Mikroschadstoffen wie etwa Medikamentenresten. Die herkömmlichen modernen Großkläranlagen sind in der Lage, zirka 70 Prozent dieser Spurenstoffe zu beseitigen. Der Rest verbleibt jedoch im geklärten Wasser. Sehr hartnäckig sind u.a. Wirkstoffe wie Diclofenac (in Schmerzmitteln enthalten) und Röntgenkontrastmittel. Die 4. Reinigungsstufe (nach Rechenklärung, Vorklärung und biologischer Reinigung) ist keine bestimmte Klärtechnik, sondern bezeichnet eine ganze Reihe verschiedener Optionen wie Ozonierung, Membranfiltration oder Aktivkohlefiltration. Mit diesen Verfahren können auch hartnäckige Spurenstoffe aufgeknackt und entsorgt werden. Über den tatsächlichen Wirksamkeitsgrad herrscht jedoch große Uneinigkeit.

Gibt es die 4. Reinigungsstufe bereits auf den Kläranlagen von Emschergenossenschaft und Lippeverband?
Regulär nicht! Jedoch erforschen wir in zahlreichen Pilotprojekten die tatsächliche Wirksamkeit. In unserer Kläranlage in Bad Sassendorf wurde die Ozonierung erprobt, in Hünxe die Membranfiltration. In Dülmen haben wir als Lippeverband eine Aktivkohlefiltration eingebaut, die derzeit getestet wird. In Gelsenkirchen hat unsere Emschergenossenschaft im Rahmen des EU-Projekts PILLS eine europaweit einzigartige (!) Spezialkläranlage auf dem Gelände des Marienhospitals gebaut, um am Krankenhausabwasser alle drei vorher genannten Techniken der 4. Reinigungsstufe zu erforschen. Zudem unterhalten wir auf dem Emscher-Klärwerk in Dinslaken das Technikum, dort erforschen wir ebenfalls zahlreiche Arten der 4. Reinigungsstufe.

Die Spezialkläranlage (vorne) der Emschergenossenschaft am Gelsenkirchener Marienhospital. Foto: Jochen Durchleuchter

Die Spezialkläranlage (vorne) der Emschergenossenschaft am Gelsenkirchener Marienhospital. Foto: Jochen Durchleuchter

Was war das Ergebnis der Pilotprojekte?
Kurz zusammengefasst: Keines der Verfahren konnte alle Stoffe vollständig eliminieren („nur“ zirka 90 Prozent!), zudem fällt der „ökologische Fußabdruck“ einer vierten Reinigungsstufe in den Kläranlagen äußerst groß aus. Anders ausgedrückt: Einer weitergehenden Reinigungsleistung steht ein deutlich höherer Energieverbrauch gegenüber.

Wie stehen Emschergenossenschaft und Lippeverband zu dem Thema Nachrüstung von Kläranlagen?
Wir sehen das sehr skeptisch – und das nicht nur, weil wir aktuell an dem tatsächlichen Wirkungsgrad der 4. Reinigungsstufe zweifeln. Wir sind eher überzeugt, dass wir mehr in der Logik des gesamten Wasserkreislaufs denken müssen. Bei den Spurenstoffen heißt das ganz konkret, dass der gesamte Weg von Medikamenten betrachtet werden muss: von der Produktion über den Verkauf, die Verwendung und letztlich die Entsorgung. Eine Lösung der Probleme rund um die Spurenstoffe am Ende der Kläranlage – „end of pipe“ – ist eine zunächst scheinbar einfache, aber weder technisch optimale noch ökologische, energiefreundliche Lösung! Unser Ziel ist die Vermeidung von Spurenstoffen möglichst bereits an der Quelle, im Gesundheitswesen oder beim Verbraucher.

"Essen macht's klar" wird vom Land NRW gefördert. Wir kooperieren in dem Projekt mit der Stadt Essen und dem Ruhrverband.

„Essen macht’s klar“ wird vom Land NRW gefördert. Wir kooperieren in dem Projekt mit der Stadt Essen und dem Ruhrverband.

Unser Fazit:
Spurenstoffe werden im Abwasser am besten vermieden, indem sie erst gar nicht den Weg ins Wasser finden! Wir setzen daher lieber auf Sensibilisierung und Aufklärung, so wie wir das in Dülmen bei dem Projekt „Den Spurenstoffen auf der Spur“ gemacht haben und aktuell gemeinsam mit der Stadt Essen und den Kollegen vom Ruhrverband bei „Essen macht‘s klar“ tun!

 

Kommentare

  • Christian Buschbeck

    Inwieweit können antibiotikaresistente KEIME durch eine 4. Reinigungsstufe zerstört werden?

    • Abawi, Ilias

      Hallo Herr Buschbeck,
      das kommt ganz auf die jeweilige Technik an – denn die eine 4. Reinigungsstufe gibt es nicht!
      Je nach Verfahren kann es zu Verbesserungen oder gar zu Verschlechterungen kommen – bei einer Ozonung unter Umständen zu einer ungewollten Anreicherung von resistenten Keimen und Resistenzgenen… Kurz: Eine Lösung, die erst bei der Abwasserbehandlung ansetzt, ist nicht zielführend bzw. ausreichend!
      Um Gesundheitsrisiken durch multiresistente Keime zu reduzieren, sind Maßnahmen in vielen Bereichen nötig. Der wichtigste Schritt aus unserer Sicht ist es, die Resistenzbildung dauerhaft einzuschränken, etwa durch eine Reduzierung des Antibiotikaverbrauches z.B. in der Landwirtschaft. Auch die Verbesserung von Hygienemaßnahmen ist hilfreich.
      Ich hoffe, diese Infos helfen Ihnen weiter.
      Mit freundlichen Grüßen,
      Ilias Abawi

  • Dr. Jürgen Scheen

    Sie haben als 4. Stufe „nur“ physikalische und evtl. chemische Methoden getestet. Bekanntermaßen existieren auch neue biologische Methoden – in Form von effektiven Biofiltern auf Biofilmbasis. Diese sind bestens geeignet um auch Mikroschadstoffe aus dem Wasser zu holen und sind ökonomisch nicht mit den obigen zu vergleichen. Wir haben hierzu z.B. schon erfolgreiche Untersuchungen mit PAK etc. durchgeführt.
    Ein „Abschieben“ der Problematik in andere Bereiche als der Abwasseraufbereitung halte ich für nicht durchführbar. Die z.B. Medikamente werden genommen und die Patienten werden nicht gesonderte Toiletten nutzen. Es existieren biologische Methoden – sie müssen nur angewandt werden!

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